Ein Tag mit Hermann

Erinnerung eines Heizers vom Bw Mannheim

von Gerhard Schindler

 

Dienstag, 14. Oktober 1969. Dienstbeginn  2.31 Uhr 2.13 Uhr melde ich mich auf der Lokleitung für den Dg 7205 im Dienstplan 63 Tag 7, von Mannheim Rbf nach Heilbronn. "Du bekommst die Elfsechsundfünfzig" sagt Lokleiter Schwechheimer und reicht mir das Übergabebuch. Eigentlich ist es ja die 051 156 -8, seit fast 2 Jahren schon. Damals war die Umstellung auf den Computer - Nummerplan. Aber was man gewohnt ist, behält man gerne bei. Ich bekomme also die 501156.  Auch wenn was anderes dran steht.

Blick ins Übergabebuch: - 392 Nachschau-Km - Mist! Am Feierabend ist eine Nachschau fällig. Das bedeutet zum Abölen unter der Lok durchkriechen, Ölkannenschleppen und danach den ölversauten Arbeitsanzug tauschen. Eine Stunde später Feierabend. Das fängt ja gut an. Dass ich mich so früh (20 Minuten vor Dienstbeginn!) melde, hat seinen Grund: So habe ich vor Eintreffen meines Lokführers Hermann Zeit den Führerstand in Ordnung zu bringen und auszuspritzen. Von der Decke bis zum Fußboden. Wenn Hermann nämlich erst auf seinem Hocker sitzt, ist es dafür zu spät. Höchstens stellt er dann mal seine Füße auf den Steuerbock hoch und lässt seinen kritischen Blick zuerst über mich, dann zum Boden unter seinen Füßen. wandern. Das bedeutet dann, ich solle unter ihm durchfegen. Hermann achtet sehr auf einen sauberen Führerstand, aber einen Großputz, wenn er schon auf der Lok ist und den Lokdienstzettel schreibt, mag er nicht leiden.Eigentlich ist er ganz in Ordnung, der Herrmann - für sein Alter. Er ist bestimmt 40 Jahre älter als ich und noch einer der "Alten Herren" mit Uhrkette und so. 

Bevor er kommt, noch schnell mit der Ölspritze auf dem Kessel Verdichteröl verteilen, damit es auf dem warmen Blech verläuft. Ein wenig mit der Putzwolle drüber und das Ding glänzt als hätte ich schon eine Stunde gewienert. Hoffentlich taucht er nicht auf bevor ich die Fenster auf seiner Seite geputzt habe. Er sagt zwar nichts, aber wenn er mal kurz mit Putzwolle über die Scheibe fährt, sagt mir seine Mimik alles.Aber glücklicherweise kommt er spät heute. Ich fahr schon mal raus aus dem Schuppen und noch mal unters Wasser. Es könnten noch zwei Meter reinpassen. Die Zeit spare ich dann in Heilbronn. Da wird's immer knapp mit dem Frühstück in der Kantine. Also, eigentlich sollten wir jetzt abmelden. Ob ich mal hoch zur Lokleitung gehe?  Aber dann laufen wir womöglich aneinander vorbei und er gibt mir die Schuld für ein verspätetes Ausrücken. Mann, er kommt. Und mit was für einem Gesicht. "Morgen Hermann" "Morgen. Sind wir so weit? Murmel, grumel… beinahe verschlafen." Aber wir sind rechtzeitig am Zug. Lok anhängen. An jede Seite fünf Schaufeln die hinteren Ecken der Kiste voll packen und hinten Schürkranz eben - zum Vorstechen wenn’s losgeht. Halbes Glas Wasser und 14er Dampf - Hermann bremst schon. Fehlen nur noch die Papiere. 15er Dampf. Und immer noch keine Papiere ! Nur gut, dass die nächste Wohnsiedlung 1 km Luftlinie entfernt ist. Aber es sind Bahnwohnungen  da kann man schon mal die Ackermänner „prüfen“Ah, der Zugvorbereiter bringt die Papiere. Gerettet! Hermann blickt auf den Bremszettel - auf mich und klemmt ihn unter den Fahrplanhalter. Ich schau mir das Ding an. Oh lala! 103 Achsen, 1567 Tonnen. Fast Grenzlast. Dagegen stehe ich, ausnahmsweise mal super Kohle auf dem Tender und eine Maschine die erfahrungsgemäß gut Dampf macht. Ausfahrt frei, 16er Dampf - Kiste voll - was will man mehr. In Heidelberg Rbf Einfahrt Hp2. Eigenartig. Um diese Zeit sollten wir durchfahren können. Kurz vor dem Halt ruft Hermann "Ich gehe mal rüber zum Klo. Wenn es losgeht gibst Signal". Aha denke ich, wahr wohl doch sehr knapp heute Morgen. Aber bevor wir zum Halten kommen, steht auch schon die Ausfahrt. Ich grinse auf meiner Seite zum Fenster raus. Mir ist's recht. Hätte sonst doch nicht gewusst wohin mit dem Dampf. Die weitere Fahrt war für Hermann sicher anstrengender als für mich. Irgendwie machte er einen unruhigen Eindruck. Einfahrt Eberbach Hp0! In Hermanns Gesicht sehe ich Zufriedenheit. Kein ärgerliches Zerren am Pfeifenhebel. Er bremst scharf, schnappt sich einen Packen Putzwolle, "lass die Strahlpumpe aus!" und verschwindet von der Lok. Und jetzt? Der hat gut reden.Wohin mit dem Dampf? Das Wasserglas ist ¾ voll und ein 16er im Kessel. Wenn ich wüsste wo er sitzt, könnte ich wenigstens die Heizungen aufdrehen. Aber einfach so, um halb fünf in der Früh und mitten in Eberbach, abblasen, das gibt Ärger. Ich mach mich mal rüber auf die Lokführerseite und will sehen, wo er sein Geschäft erledigt. Aber da höre ich ihn schon. Hermann sitzt zwischen Lok und Tender. Deswegen also sollte ich den Injektor nicht nehmen: er will keine Dusche. 

Das Klappern der Signalflügel verrät, die Einfahrt ist frei. Ich verzichte auf die Sichtprüfung von der Führerseite und spare mir den Ruf "Einfahrt Frei". Es kann ja nicht mehr lange dauern, bis Hermann kommt. Da krabbelt er auf die Lok. Die Jacke unterm Arm, mit nur einem dieser uralten, sechs cm breiten Hosenträger auf der Schulter. Der andere Träger hängt ihm in der Hüfte. Aber nun macht er einen entlasteten Eindruck! "Kann's losgehen?" fragt er, löst die Zusatzbremse und öffnet den Regler. Eine Antwort hat er keine erwartet. Während ich mich um mein Feuer kümmere beginnt er sein Hemd in die Hose zu topfen. Da breitet sich ein seltsamer Geruch auf dem Führerstand aus. Ich hoffe sehr, dass er bald dem vertrauten Duftgemisch aus Kohle, Wasser, Öl und Soda-Nalco das Feld überlässt. Bei der Durchfahrt am Bahnhof Eberbach dreht Hermann mir den Rücken zu und winkt freundlich dem Fahrdienstleiter am Bahnsteig zu. Sicher hatte der, wegen des verspäteten Stellens des Signals, eine wütende Geste erwartet. Und bestimmt war er über das freundliche Winken etwas erstaunt. Da sehe ich an Hermanns Hosenträger, das große braune Paket. Er hat sich auf die Hosenträger geschissen und sich eine ordentliche Portion auf den Rücken geschnallt. Sie sind breit, diese Hosenträger. Sehr breit. Was soll ich jetzt tun? Vielleicht merkt er es selbst. Bis Heilbronn werde ich auf jeden Fall zu meinem Fenster rausschauen, die angenehme Morgenluft genießen und den Sonnenaufgang bestaunen. Ob man sich an einen Geruch wie diesen gewöhnen kann?

In Heilbronn, an den Kohlen angekommen, sage ich zu Hermann "Geh nur schon mal vor in die Kantine Ich fahr „Sie“ auf die Schlackengrube, zur Drehscheibe und ins Ausrückgleis. Wenn du nicht zu lange bleibst, dann kann ich mir noch ein belegtes Brötchen zum mitnehmen aus der Kantine holen." 6.32 Uhr sollen wir schon wieder raus auf den 6742 zurück nach Mrb. Zuvor sitzen wir aber meist noch 10 Minuten zusammen beim Kaffe. Aber heute hatte ich darauf verzichtet. Als ich mit den Stangenlagern fertig bin, kommt Herman von der Kantine rüber: "Hol dir auch noch was aus der Kantine. Ich geh schnell zur Lokleitung - bin gleich zurück." Ja dann Malzeit denke ich, werfe die Handbremse rum und verschwinde in Richtung Kantine. Welch eine Aufregung: Über die Tische hinweg wird lauthals diskutiert und ich brauche nicht zu fragen worüber. Ich hab's gerochen. Und so viel habe ich auch gleich mitbekommen: die haben meinen Hermann rausgeschmissen. Arglos frage ich " Wo kommt denn der Gestank her?" Das war der Hermann aus Mannem! Ungläubig schüttle ich den Kopf, grinse in mich hinein, nehme meine Brötchen und verzieh mich.

Alles Weitere ist Routine. Kiste voll, 14er Dampf aber noch kein Hermann in Sicht. Die nächste Maschine, eine Crailsheimer 44er, kommt von der Scheibe hinter mich gefahren. „Wann rückt ihr aus?“ ruft der Führer ungeduldig. Da kommt mein Hermann auf die Lok. Zufriedenes Gesicht, klatschnasses Hemd und Jacke. Aber geruchsfrei. "Können wir?" meint er und öffnet den Regler. Am Zug fragt er "Hast du nichts gerochen?" „Nee“, sage ich, „was hätte ich riechen sollen?" Dann klappern die Signalflügel und Hermann ruft  "Auf geht's, in die Heimat" und öffnet den Regler. 16er Dampf - Kiste voll - 68 Achsen - 599 Tonnen Brutto. Fast eine LZ. Ob er ab Neckarelz mich fahren lässt ….? 

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